... in der Struktur

Eine der wichtigsten Aktivitäten des Benutzers, sich mit den Inhalten einer aufgespannten Informationswelt auseinander zu setzen, ist es, einen Weg durch die Inhalte zu finden, der den eigenen Bedürfnissen entspricht und zielführend ist. Neben dem Beitrag zur Rezeption des Inhalts ist die Navigation aber in erster Linie eine Auseinandersetzung mit der Struktur der Informationswelt beziehungsweise mit ihrem strukturellen Aufbau. Um sein Ziel "sicher" erreichen zu können, muss der Benutzer den Aufbau der Struktur verstehen. Dabei muss das Verständnis nicht auf der obersten Wahrnehmungsebene einsetzen, es kann sich vielmehr durchaus auch um ein "gefühltes Verständnis" handeln, bei dem der Benutzer sich rein intuitiv durch die Informationswelt bewegt. Ob diese Bewegung innerhalb einer geschlossenen oder einer offenen Struktur stattfindet, ist dabei nicht von Belang. Vielmehr ist es der strukturelle Aufbau, der für die Navigation hilfreich ist oder diese behindert.

Hypermedia, unabhängig ob statisch, dynamisch, kombiniert oder intelligent, folgt im Regelfalle nicht der linearen Struktur eines analogen Mediums wie es bei Büchern oder Filmen in der Regel der Fall ist. Vielmehr ist es durch die Möglichkeit zur Verlinkung vor allem die netzartige Struktur, die die hypermediale Charakteristik ausmacht. Zwischen beiden Extremen kann die Informationswelt mittels einer Reihe verschiedenster Ordnungen und Strukturen aufgebaut werden.

Zur Betrachtung, wie Informationswelten strukturiert werden können, wird im Folgenden die nahe Verwandtschaft zwischen der literarischen Form der Hypertextfiktion zu der Idee von Hypermedia genutzt. [HOF10] Die grundlegendste Unterscheidung möglicher Strukturaufbauten ist die Unterteilung in lineare und nichtlineare Strukturen.

Abb. 55
Strukturelle Aufbaumöglichkeiten (Linear, Baum, Netz, etc.)

Die basale Struktur geht von dem ursprünglichen, rein linearen Aufbau von Geschichten aus (oben links). Von ihr kann jede weitere nichtlineare Form abgeleitet werden [SAW96]. Diese Struktur reizt jedoch die Möglichkeiten, über die aktuelle und auch zukünftige Hypermedien verfügen bzw. verfügen werden, in Bezug auf die Freiheit der Navigation innerhalb der Informationswelt nicht aus. Dieser Aufbau ist prädestiniert für Medien, die in ihrer Präsentation ebenfalls ausschließlich linear funktionieren, wie dies bei allen klassischen Präsentationsmedien wie Buch, Hörspiel oder Film der Fall ist.

Wesentlich aufwendiger sind Strukturen mit parallelen Informationswegen (oben rechts). Auch wenn diese Wege jeder für sich noch linear aufgebaut sind, so geben sie dem Benutzer die Möglichkeit, durch die Wahl des Weges aus verschiedenen Perspektiven auf die angebotene Information zu blicken. Jeweils am Ende eines Kapitels kann der Benutzer wählen, aus welcher Perspektive er die nächsten Kapitel behandeln möchte. Gerade diese Struktur wurde häufig schon für das Medium Film angewandt. Ein Meilenstein solcher Perspektivenfilme ist "Rashomon" von Akira Kurosawa [KUR50]. Wirkliche Eingriffnahme in die Handlung und die Handlungsstränge werden dem Zuschauer erst mit moderner Technik, wie zum Beispiel der DVD oder der BluRay, geboten. Wenn sich auch eine große Zahl von Regisseuren mit den sich aus diesen Techniken ergebenden Möglichkeiten auseinandersetzt und erste filmische Versuche produziert werden, so wurde die Wirkung auf den Zuschauer bisher nur in wenigen Studien untersucht. [JES04]

Von der linearen Grundstruktur wird in all jenen Strukturen abgewichen, die sich auf eine hierarchische oder Baumstruktur abbilden lassen (unten links). Hier hat der Benutzer einen definierten Einstiegspunkt in die Handlungswelt. Von diesem Punkt aus kann er durch Links zu weiteren untergeordneten oder "späteren" Knoten gelangen. Von jedem Knoten kann es eine unterschiedliche Zahl von Verbindungen zu weiteren Unterknoten geben. Der Nachteil dieser Art von Struktur liegt darin, dass es für den Autor mit wachsender Größe der Struktur immer aufwendiger wird, diese wirklich schlüssig mit Inhalten zu füllen. Daher wird oftmals von der symmetrischen Struktur abgewichen und die Struktur in verschiedenen Tiefen beendet. Dabei kann es vorkommen, dass ein einzelner Strang wesentlich kürzer ist als ein anderer. Ebenfalls weniger aufwendig in der Produktionsarbeit ist es, den Baum so aufzubauen, dass die Handlung von den einzelnen Knoten so weitergeleitet wird, dass jeder mögliche Strang zu einem einzigen definierten Ende weist. Diese Aussage gilt jedoch nur für den technischen Produktionsaufwand, da die Zahl der Knoten optimiert wird. Die Inhalte der Knoten müssen aber inhaltlich immer noch so aufeinander abgestimmt werden, dass jeder Strang für sich genommen in sich schlüssig ist.

Eine oftmals in Spielen aber auch in einigen Lernumgebungen genutzte Form der Baumstruktur führt neben den normalen Knoten sogenannte Schlüsselknoten ein. Dies sind Knoten, bei denen die Weiterleitung und Verlinkung zum Beispiel davon abhängig ist, ob bestimmte andere Schlüsselknoten schon vom Benutzer besucht wurden oder davon, wie sich der Benutzer auf seinem bisherigen Weg durch die Informationswelt verhalten hat:

Somit kann sichergestellt werden, dass der Benutzer alle wichtigen Informationen auch tatsächlich mitnimmt und erhält.

Die Strukturen, die den heutigen Techniken sowohl in der Gestaltung als auch in der Präsentation und der Interaktion am weitesten entgegengekommen, sind die verschiedenen Arten der Netz- oder Cloudstrukturen (unten rechts). Hierbei wird innerhalb einer Informationswelt von jedem Knoten zu vielen anderen Knoten verlinkt. Im Extremfall können hier alle Knoten miteinander verlinkt sein. Hier nun kann der Bogen zu den eingeführten offenen und geschlossenen Strukturen wieder aufgenommen werden: